Ja, absolut! Ein Zauberer und Magier! Die junge Generation lacht mich aus wenn ich damit anfange. Das kommt aus der Zeit als ich mit meinem Freund Isaac im Tessin war. Da sind wir im Wald herumgelaufen und hatten Probleme mit den etablierten Locals und haben mit dem Konzept des Zauberns dagegen gehalten. Wenn ich einen großen, athletischen Kerl sehe der etwas Schwieriges hochkommt bin ich nicht allzu überrascht. Ich dagegen bin ein spindeldürrer, schwacher Bastard und klettere trotzdem besser als die Meisten, da muss also Zauberei mit im Spiel sein! Dieser Zustand der Konzentration, die Linien die ich verbinde, das ist pure Zauberei ausserhalb des Gewöhnlichen! Viele Kletterer sehen gar nicht was ich mache, es ist unerklärlich für sie, es passiert auf einer ihnen unzugänglichen Ebene. Ob es Zauberei in der realen Welt wirklich gibt weiss ich natürlich nicht, ich lese viel Fantasy und Science Fiction und bin deshalb in dieser Welt zuhause.
Nicht besonders weit…
Hm, interessant. Ich kannte diese Lösung aber schon seit vielen Jahren! Aber da sieht man dass ich wirklich noch in meinen Lehrjahren als Zauberer stecke! Ich bin 25 jahre alt, habe mit 14 angefangen, ja, ich bin erst ganz am Anfang, noch am Üben… Sieh mal an, dass mir das noch passiert. Interessant.
Diese Sequenz mit der ich gestern die kleine Crux geknackt habe und meine Chancen das Ding endlich zu klettern bewahre kenne ich wirklich schon lange. Diese Lösung war allerdings tabu, da ein Bohrhaken genau unter dem winzigen Griff steckte den ich jetzt nehme. Ich weiss noch genau, dass ich ursprünglich dachte „diesen Griff könnte ich vielleicht halten obwohl er sehr schlecht ist, aber der Bohrhaken ist im Weg.“ Trotzdem habe ich vor 5 Jahren eine Sequenz mit diesem Griff ausprobiert, allerdings fehlte mir damals die Schulter- und Torsokraft. Ausser mir mochte keiner diese Sequenz, mir schien das aber die einzige Lösung. Patxi und Sylvian kletterten die Stelle dann allerdings so ähnlich wie ich es vorgeschlagen hatte. Nur ich konnte es damals nicht so machen. Dieses Jahr dann habe ich es erst gar nicht versucht, weil es für mich auch immer darum geht Sachen zu versuchen in denen ich nicht gut bin und die Schlüsselstelle von Realization ist genau so eine Herausforderung. Wichtiger als etwas zu klettern ist für mich der Prozess, ich möchte an den Problemen wachsen und die Sequenz so wie Chris sie gemacht hat ist für mich höllisch schwer, Zug für Zug, ich kann die Griffe gar nicht richtig halten also genau wonach ein Teil von mir sucht! Sowas hängt ja so stark von deiner Fingerlänge und -dicke ab. Die Bewältigung dieser Schlüsselstelle ist mir sehr wichtig und ich zwang mich die gleichen Griffe wie die anderen zu nehmen in der Hoffnung daran zu wachsen. So führte ich mich lange Zeit in die Irre bis ich aufwachte und dachte „Moment, Methoden die dir gar nichts bringen brauchst du auch nicht zu versuchen, warum tust du dir das an?“ Das passiert auch im Leben so oft, dass man sich einem Konzept unterordnet und nicht mehr offen für eigene Lösungen ist. Was will man mit einem System das nicht funktioniert? Fuck the system!
Gestern abend wurde mir dann endlich klar, dass ich meine eigenen Kräfte und Methoden einsetzen muss. Alle Welt will mir immer sagen wie ich Sachen zu machen habe, aber diese Erfahrung sagt mir dass ich darauf nicht zu hören brauche!
Jetzt wo ich meine eigene Sequenz gefunden habe, bin ich befreit und weiss das ich das Ding jetzt bald hochkomme, vielleicht schon morgen!
Nicht glücklich, eigentlich sehr unglücklich! Ich war verletzt, das hat mich völlig aus der Bahn geworfen, ich konnte 6 Monate nicht klettern. Alle meine paar Muskeln hab ich verloren, aber was noch schlimmer ist: mein Selbstbewusstsein war auch weg!
Jetzt möchte ich erstmal meinen Körper aufbauen, nicht für so Sachen wie Realization, da braucht man nicht fit für zu sein, sondern für meine Boulderprojekte die eine ganz andere Form von Körperbeherrschung und Kraft verlangen!
Ich trainiere ja gar nicht, hab ich noch nie gemacht, aber für diese zukünftigen Probleme muss ich meine körperlichen Möglichkeiten erweitern. Dazu muss ich erstmal meine Torsokraft entwickeln und darauf aufbauend dann die ganz spezifischen Techniken die ich brauche, nicht sowas wie einarmige Klimmzüge. Die ganze Struktur muss stabiler werden damit ich mich nicht in den Positionen die in diesen futuristischen Klettereien gefragt sind nicht verletze. Meine Zwischenrippenmuskulatur zerre ich mir zum Beispiel oft bei abgefahrenen Überkreuzzügen. Das muss anders werden!
Wenn du reguläres Klettertraining machst wirst du zu einer Klettermaschine wie Ramonet oder Patxi. Erstaunlich wie stark die sind! Allerdings hab ich den guten Ramonet schon öfters ziemlich konfus klettern gesehen weil er einfach nicht so viele Jahre als Schwächling verbracht hat wie ich. Wenn du schwach bist lernst du viel besser deinen Körper geschickt einzusetzen. Meine Hoffnung ist, zusätzliche Muskeln einzusetzen ohne mich von der Tatsache abzulenken dass ich eigentlich schwach bin. Du musst schwach sein um deine geistigen Fähigkeiten nicht zu verlieren.
Ausserdem will ich natürlich auch nicht schwer werden weil ich dann Angst habe meine Finger zu verletzen, meine Sehnen sind schon stark, aber nicht mehr wenn ich deutlich schwerer wäre.
Verdammt noch mal, ja! In Hueco Tanks war ich 63 Kilo, voll im Saft, als ich verletzt war nur noch 56-57 Kilos, das war ganz übel! Meine Eltern sind ganz furchtbar dünn, auch mein Bruder hat überhaupt gar keine Muskeln. Die ziehen mich auf weil ich Muskeln habe! „Mein Gott, guck dir deinen Körper an!“ und dann sag ich „Guckt euch mal ihr Sinny Bastards!“, das stört mich fast, kümmert die das nicht?
Wahrscheinlich sind die die wirklichen Zauberer, die sind über das Körperliche schon hinaus! Die haben ihre Bücher und ihre eigene Welt, die brauchen keinen Körper! Ich bin sehr dankbar dass ich meine Fähigkeit zu denken von ihnen geerbt habe aber von meinem körperlichen Erbe fühl ich mich verarscht! Schlechtere Gene hätten die mir gar nicht mitgeben können. Ich werde nie wie ein Ramonet, Patxi, Chris oder all die anderen starken Kletterer werden die mich inspirieren. Am ähnlichsten ist mir noch Dani Andrada, der hat sich das auch alles mühsam angeeignet. Diese fanatische Hingabe zur Entwicklung des Körpers hätte ich auch gerne! Ja, diese fanatische Besessenheit! Ich werde sagen „Guck Udo, fünf Einarmige! Und weisst du warum? Weil ich das will!
Zauberer können alles was sie wollen! Ich brauche das um mir sagen zu können: „Du bist nicht schwach!“ Ich möchte mich selber davon überzeugen, manchmal muss man sich was vormachen können und die Wirklichkeit umdeuten um Selbstbewusstsein wieder zu gewinnen! Und ich muss wieder Selbstbewusstsein aufbauen um meinen Visionen überhaupt nach gehen zu können.
Was die geistige Fähigkeit Sequenzen zu finden anbelangt, da werde ich immer besser. Allerdings verlangt das eine extreme Konzentration aufs Klettern, die totale Hingabe so wie ich Klettern früher betrieben habe. Du musst die völlig aufs Felsklettern fokussieren sonst tut sich da nichts! Wenn ich mich um andere Sachen kümmern muss kann ich nicht auf diesem Niveau klettern, das geht einfach nicht. Massive Konzentration und Hingabe.
7c kann ich meistens in Turnschuhen klettern weil ich weiss wie es funktioniert, nicht weil ich stärker bin. 7c ist nicht schwierig wenn man weiss was zu tun ist. Manche Kletterer finden 7c bloc schon ziemlich schwierig aber die blicken aus meiner Sicht nicht wirklich durch. Da kommt wieder das Selbstbewusstsein ins Spiel, das Vertrauen diese kleinen Bewegungspuzzles lösen zu können. Manchmal ist es verwirrend und ich frage mich: „Hm, wie fühlt sich das für die wohl an? Die haben einen bestimmten Körpertyp und ein Gefühl für die Bewegung, wie könnten die das wohl klettern?“ Das ist die Schule des Kletterns, das hört nie auf. Beim Karate oder Yoga ist es ja genauso!
Versuch es einfach immer wieder, übe, experimentiere, versuch in die schwierigen Positionen zu kommen. „Das fühlt sich so falsch an!“ lamentieren die dann, aber genauso gehts mir beim Yoga, da lachen mich auch alle aus aber über die Jahre bin ich bestimmt 20% besser geworden. „Die Tritte sind so schlecht!“ kommt dann und ich sage: „Lehn dich zurück und lass die Ferse hängen!“ „Nein“, sagen sie, „ich halte mich lieber nahe der Wand!“ Wenn sie dann aber sechs Monate in Bleau waren haben sie diese Technik voll drauf, können aber nicht mehr spitz in kleinen Löchern stehen. So ist das halt mit der Klettertechnik. Du musst die Winkel, Belastungsrichtungen und Positionen verstehen! Die räumliche Wahrnehmung ist so wichtig, eignetlich geht es ja um Geometrie und Physik. Wenn dein Po ausserhalb der Box ist geht der Zug eben nicht. Wenn du dagegen in der Box bist denkst du „super, hier kann ich mich total leicht halten“ aber dann kommt der nächste Zug und die Box verändert sich und du bist wieder aufgeschmissen. Einige Menschen verstehen das Konzept von Natur aus, einige aber haben kein Gefühl für die Belastungsrichtungen und die Box.
(Dave nutzt den Begriff der „Box“. In der Box sein, heisst sich im Gleichgewicht von Belastungsrichtungen, Körperschwerpunkt und Kontaktpunkten zu befinden. Ausserdem macht er alles sehr anschaulich vor!)
Ich finde das genauso interessant wie starken Kletterern zuzuschauen. Ich rede ja eh gerne und teile gern alles was ich übers Klettern weiss mit anderen, kenne aber so viele Kletterer die nie ihre kleinen geheimen Tricks und Entdeckungen teilen würden. Für mich ist das das Beste beim Klettern, die Kommunikation, das sich ausstauschen. Jeder macht ja trotzdem seine eigenen Erfahrungen, aber was wäre das alles ohne Freunde und Unterstützung?
Ich bin zu begeistert vom Klettern um vernünftig zu sein! Eigentlich würde ich sagen 2 Tage klettern, ein Tag ruhen wäre vernünftig aber es werden oft 3, 4, Klettertage hintereinander. Im Grunde hab ich nicht die Geduld für Ruhetage. Jetzt zum Beispiel bräuchte ich bestimmt 2 Ruhetage, bezweifle aber dass ich das hinkriege. 2 Tage nicht klettern! Eigentlich will ich das Ding jetzt sofort klettern obwohl ich total kaputt bin!
Ich mach soviele Sachen die eigentlich falsch sind, pumpe mich bei einem Versuch total auf, werde wütend, brülle runter: „Goddammit, lass mich runter!“, zieh das Seil ab, binde mich ein und klettere das Ding dann obwohl ich soviel kaputter als beim ersten Versuch bin!
Klar, mental nimmt das den Druck raus. Aber körperlich ist es viel viel härter!
In 13 Jahren? Wie alt bin ich dann? 39? Oh man, dann wird es starke Kletterer geben! Ich selber werde dann hoffentlich richtig stark sein. Wie Ben Moon, der wird auch immer besser.
Wir werden französische zehner haben, 9c+ wird gelaufen sein, in spätestens 5-10 Jahren werden viele Kletterer ganz leicht 9a klettern. Und dann wird man zwei 9a‘s hintereinander klettern und dann sind wir ja schon bei 9c!
Ja, ironisch nicht? Aber ich glaube auch das Routenklettern wieder viel populärer wird, dass es aber für die Europäer schwierig wird mitzuhalten weil die starken europäischen Boulderer sich nicht so vom Routenklettern angesprochen fühlen. Es wird viel härtere Züge in den Routen geben die der traditionelle europäische Routenkletterer einfach nicht machen kann. Bis 2020 hoffe ich Routen mit 8b+ Bouldern in sich zu begehen. 8c Route, dann ein 8b+ boulder und dann wieder 8c Route, ohne Ruhepunkt! Das trau ich mir eigentlich schon jetzt zu! Als Vergleich, Realization ist eine 8c+ Route, dann ein 7b+ Boulder und dann 7b zur Kette. Und dann kann man noch ruhen! Das ist noch gar nichts, da geht noch viel viel mehr!
Ja, da wird es eine Entwicklung geben, aber das ist nur ein Stil. Viel wichtiger wird immer die Kombination von statischer und dynamischer Kletterei sein! Die Jungen zum Beispiel können super springen, tun das aber auch wenns gar nicht nötig ist. Soviele kristalklare Sprünge gibts doch gar nicht, zumindest nicht am Fels! Immer dieses dramatische Rumgespringe, lächerlich!
Oh ja, das ist radikal! Das wird super! Bis 8b hab ich auch schon eine Menge Probleme gemacht. Du hattest aber nach 2020 gefragt und Flussbett bouldern wird erst später kommen, das ist noch zu futuristisch! Du brauchst extreme physische Fähigkeiten, du musst die stärkste Kreatur der Welt sein und die mentale Kraft haben UND du brauchst ganz trockene Haut weil diese Slopergriffe so Bedingungsabhängig sind! Eine viel weiter entwickelte Körper- und Raumwahrnehmung wird dazu notwendig sein.
Die Jungen Plastikkinder können unglaublich verdichten, sind dynamisch und kleben gut, wir Alten können da körperlich nicht mehr mithalten. Bei mir ist da schon das Schwitzen ein Ausschlusskriterium weil die Reibung an den Flussbett Bouldern so schlecht ist.
Allerdings, bis jetzt kann keines dieser Plastikkids auch nur annähernd den Plastikstil auf den Fels übertragen. Alte Knacker wie ich werden immer eine Möglichkeit finden es anders zu klettern. Am Fels haben die auch nicht die Kraft wie am Plastik. Plastik ist einfach zu schlicht und eindimensional um einen auf den Fels vorzubereiten. Da reicht die Rechenkapazität einfach nicht um die ganzen Eindrücke zu verarbeiten. Diesen Sprung von dem sie so träumen wird es am Fels nie geben! Ich werde es immer auch anders klettern können, immer! Träumt weiter, ich werde es klettern können!
Wenn, wenn es aber doch passiert und jemand klettert dieses radikal abgefahrene Problem mit der zwingenden Luftnummer die ich nicht auf die Reihe krieg …
Dann, dann bin ich der erste der sagt: (klatscht langsam und annerkennend in die Hände und schnalzt mit der Zunge)
„Bravo!“ und ich werde beeindruckt sein!