Udo Neumann
Udo Neumann
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Simon schreibt:

“Unsanft weckt mich der Kommentator aus meinem Halbschlaf. Zidane hat dem WM-Finale gerade ein ebenso spektakuläres wie unrühmliches Highlight verpasst. Ich koche mir einen möglichst starken Kaffee. Kurz darauf trudelt mein support-Team auch schon ein. Vierundzwanzig Stunden Bouldermarathon stehen an.

Was macht ein rastloser Boulderer, wenn ihm zuhause die Projekte ausgehen? Gut, er reist in andere Gebiete, aber auch das geht nicht immer. Also müssen neue Ziele her, neue Ideen, die das Bouldern daheim wieder interessant machen. 24-24 war eine davon. 24 Boulder in 24 Stunden, in fünf verschiedenen Gebieten, jedes mit anderem Gestein und anderem Style. Von den Basaltbouldern in Glees bis zu den alterwürdigen Kieselzerglern in der Nordeifel sollte alles dabei sein. Geklettert werden sollten nur die besten und schwersten Bloc-Boulder der Gebiete, so weit es geht mit klaren Linien und ohne Definitionen.”  

Im Wald von Glees 

“Dunkler kann die Nacht kaum sein. Die Lichter unserer Stirnlampen verschwinden nach ein paar Metern im Nichts und die Wegfindung durch den dichten Wald von Glees ist teilweise mehr von wagen Vermutungen geleitet als von dem Wissen, wo es lang geht. Irgendwann stehen wir vor den ersten Blöcken. Zwei Videolampen sollen nun für die Ausleuchtung sorgen und nach einem kurzen Aufwärmprogramm steht auch schon der erste Boulder an, ein sehr schöner Bleauesker Sloperboulder. Noch etwas nervös setze ich den ersten Versuch direkt erstmal in den Sand. Cool bleiben, Simon, es geht grad erst los. Der zweite ist besser und ganz entspannt cruise ich den Boulder hoch. Der zweite Boulder ist direkt ein Highlight. Ehemals der schwerste Boulder des Gebietes und eine Linie, wie man sie ich nur erträumen kann. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Boulder in vergangenen Tagen schon geklettert bin und immer wieder war ich begeistert. Jetzt im Dunkeln sieht die Sache etwas anders aus. Der Kreislauf ist um ein Uhr nachts halt selten in einer Verfassung, die einen aktiv fühlen lässt. Der Schnapper am Anfang fühlt sich ziemlich zäh an, sofort schmerzt die Haut an den scharfen Kanten des Basalts. Die Züge oben muss ich mit etwas mehr Druck als normal wegpressen, aber dann ist es geschafft.
Eine kurze Slopertraverse wird quasi im Vorbeigehen mitgenommen und auch ‚Eisheiligen’, einer der großen Klassiker des Gebietes ergibt sich sofort. Quasi im Halbschlaf mache ich ihn direkt für Fotos noch mal.
‚Kreuzritter’ ist ziemlich beängstigend. Nicht nur jetzt, wo es stockduster ist, sondern auch tagsüber. Hoch, nicht allzu gutes Absprunggelände und mit einem Ausstieg, der wohl in der Kategorie ‚Dreckig und Locker’ einzuordnen ist. Die Videolampen können den Ausstieg auch kaum ausleuchten, da muss wohl die Stirnlampe reichen. Ziemlich Adrenalin geschwängert steige ich ein. Leiste, Leiste, Fuß auf Kopfhöhe hochwerfen, weiterziehen, ums Eck schnappen, Füße setzen, kreuzen, Kelle. Jetzt cool bleiben, kurz chalken, weiter geht’s. Vorsichtig steige ich die letzen Meter über die lockeren Blöcke aus und muss oben erstmal tief durchatmen. Geschafft! Als ich unten Ankomme erwacht gerade der Wald. Von Minute zu Minute wachen mehr Tiere auf, das zwitschern und fiepen wird lauter. Erfürchtig stehen wir da, keiner sagt etwas. Der Anfang ist gemacht.

“Erste Sonnenstrahlen lucken zwischen den Hügeln des Siebengebirges hervor. Ich quäle mich aus meinem Schlafsack. Eine halbe Stunde Schlaf sind nicht gerade viel, aber es muss reichen. Während Udo und Kaya die Thermoskanne suchen und versuchen so an ein paar mehr Lebensgeister zu kommen, dehne und strecke ich mich ein wenig am Strand, in der Hoffung die müden Knochen so wach zu bekommen.
Kurz darauf stehen wir auch schon auf der Fähre über den Rhein, die uns zum zweiten Spot bringt. Frischer Wind bläst uns ins Gesicht und langsam werde ich auch wach.
Der Block unterhalb des Drachenfels, der als zweite Location herhalten soll, war lange Zeit die nächste Klettermöglichkeit, die ich hatte als ich in Bonn wohnte. Entsprechend besonders ist mein Verhältnis zu diesem an sich nicht so wahnsinnigen Stück Fels. Sommers wie Winters drehte ich hier mehrmals die Woche meine Runden. Zwei Boulder hatte ich ausgewählt. Nur, es gab kaum einen Weg zum Block. Dicht verwuchert war er und erste Rufe nach einer Machete wurden laut. Etwas mühsam kämpften wir uns zum Block. Gut, dass Crashpads auch super Schutzschilde sind.
Nachdem der erste Boulder relativ simpel war, war meine Nervosität beim zweiten deutlich höher. Nach einem Griffausbruch war der Schlüsselzug, ein Abfaller in ein zwei Fingerloch, bei dem man beim lösen der Hand gleichzeitig möglichst präzise einen kleinen Tritt treffen muss,  nochmals schwieriger geworden. Ich pushte mich selber ziemlich und direkt im ersten ging er danieder. Noch kurz den hohen Ausstieg hinter mich bringen und schon konnte es weiter gehen. Zehn Minuten müssen reichen.

Die Katzensteine

hatten durchaus das Potential einer der Topspots der Eifel zu werden. Schöner roter Sandstein ließ mein Herz beim ersten Besichtigen höher schlagen, allerdings wurden die Besucherzahlen mit erscheinen des Eifelboulderführers höher und einige meinten es mit dem Putzen wohl etwas zu gut, was dazu führte, dass einige Griffe mittlerweile deutlich verändert sind und vor allem sehr sanden.
Dennoch durfte es auf der Liste nicht fehlen. So langsam kam ich auch in den gewohnten Angriffsmodus. Sogar ‚Zazie’, ein schöner, bei meiner Körpergröße aber sehr unangenehmer Stehstart durch die Mitte des Überhangs, ergab sich sofort im ersten Versuch. Erst der eigentlich leichteste Boulder warf mich ab. Vielleicht hatte ich schon für einen Moment zu lange an die Mittagspause gedacht. Etwas mehr Focus, bitte, Herr Sticker, klopfte das kleine Männchen an meine Hirndecke. Gedacht, getan. Halbzeit.

Die Kacushöhle

hat die vermutlich höchste Dichte an Bouldern in unserer Region. Um die eigentliche Höhle sind einige wirklich sehr nette Kalkblöcke an den Hängen verteilt und obwohl Kalkbouldern so gar nicht meins ist und der Fels auch ziemlich rau ist, hatte ich hier in der Vergangenheit einige nette Stunden verbracht. Jetzt sah es etwas anders aus. Meine Haut beklagte sich seit den Katzensteinen schon massiv. Etwas blöd, wenn man noch über die Hälfte an Bouldern vor sich hat. Quasi zum Aufwärmen sprang ich erstmal durch ‚Tim is teaching you’. Die Beine schwingen weit raus und in einer perfekten Kurve landen sie im Loch.
Beim auschecken der Boulder hatte ich einen gefunden, der bisher aus unerfindlichen Gründen durch mein Raster gefallen war. Ihn hatte ich mir für heute für einen Flashversuch aufgehoben. Er beginnt tief unten und zeiht sich parallel zum Hang nach oben. Langsam startete ich, die ersten Züge liefen gut rein. Der Ausstieg sah noch mal zäh aus, aber ich fühle mich gut. Der vorletzte Zug in ein kleines Loch ist etwas wackelig, ich erwische es nicht richtig. Sofort bekomme ich die Quittung und falle ab. Damm! Alles noch mal. Das kostet. Im zweiten Versuch gelingt es dann die Züge dieses sehr langen Boulders aneinanderzureihen und es kann weiter gehen.
Beim nächsten Boulder ist die größte Barriere die physchische. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich mir hier einen Flapper geholt, der mich für über eine Woche am Klettern hinderte. Es war also Vorsicht angesagt. Waren die Griffe schon immer so schmerzhaft? Ich gebe alles, um bloß nicht abzufallen oder einen neuen Cut zu provozieren. Das erste Mal heute bin ich richtig angespannt und nervös. Von Udo kriege ich nur aufbauende Worte zu hören, in dem Style von: „Jetzt klagt er hier, hast wohl keine Lust mehr und suchst ne Entschuldigung aufzuhören.“ Es wirkt. Davon angespornt reiße ich ihn direkt nieder und kann zu Psycho-Barriere 2 weitergehen, einem Highball, der zwar von seiner Linie her wunderschön ist, allerdings bei den Temperaturen (es hat knapp unter 30° C) sehr garstig ist und von mir seit bestimmt drei Jahren nicht mehr geklettert worden war. Selbst Udo, der schon den halben Planeten auf der Suche nach Bouldermöglichkeiten bereist hat, ist von der Linie begeistert. Kaya und ich legen die Crashpads hin, während Jule und Udo ihre Kameras aufbauen. Kurz auf der Matte konzentrieren und los geht’s. Mist Kalk, kann der nicht etwas mehr Reibung haben? Die Sloperleisten schmieren. Vorsichtig klettere ich über die erste, noch leichte Passage. Es macht Klick, auf einaml fühle ich mich gut, aggressiv. Come on! Seitleiste, fuß auf Reibung, jetzt nicht nach unten gucken. Ich schnappe an die Kante. Cool bleiben. Noch ein wackeliger Zug. Ich setze die Füße und ziehe langsam hoch, erreiche die Kelle. Ein Schrei schallt durch den Wald! Das wars, jetzt sollte es gehen, jetzt komme ich irgendwie durch. Der nächste Boulder fällt euphorisiert im Vorbeigehen. Auch ein zuerst eingeplanter Dachboulder, der leider naß ist und nicht geklettert werden kann, kann die Stimmung nicht trüben. Das hatte ich mir schon gedacht. In der Eifel wartet ein Ausweichboulder.

Langsam wird es eng. Die Pommesbude hat geschlossen

und wir sind seit nunmehr einundzwanzig Stunden auf den Beinen. Meine Haut schmerzt von den scharfen Griffen der Kacushöhle und im Körper macht sich langsam aber sicher eine  große Müdigkeit breit. Wieviel Puffer haben wir noch? Es reicht für ein kurzes Einkehren in der Nideggenschen Pizzeria. Ohne Essen kipp ich eh gleich um.
Gestärkt geht es weiter. Dämmriges Licht taucht den Wald in eine kontrastlose Wirklichkeit. Ich hetze wie ein aufgescheuchstes Tier durch den Wald, ich nehme kaum noch etwas um mich rum wahr. Es existiert nur noch der nächste Boulder. Den ganzen Tag hatte ich immer in Abschnitten gedacht. Glees, Röhndorf, Katzensteine, Kacushöhle. Ich hätte letzte Nacht nicht an die Kacushöhle denken können. Es war soweit weg. Jetzt denke ich nur noch von Boulder zu nächstem Boulder. Ich springe durch den ersten Boulder. Zwei Versuche und jeder tut mehr weh. Ich sitze unter dem zweiten am Block. Und sitze und sitze. Keiner sagt etwas. Ich bin so müde. Mein Körper fühlt sich an, als hätten die Boulder den ganzen Tag auf mir gelegen anstatt von mir geklettert zu werden. Ich steige ein. Der Anfang geht gut. Hoffentlich klappt der Aufspanner an den Griff jetzt. Er klappt nicht. Ich sitze wieder auf dem Boden. Tief durchatmen. Und noch mal. Diesmal klappt es! Noch mal kurz Spannung halten und an die Ausstiegskelle springen. Sehr gut. Schnell noch den ‚Ausweichboulder’ für das nasse Dach klettern und weiter geht’s. Wir hasten durch den Wald. Ich will soviel es geht noch das Dämmerlicht nutzen.
Als wir ankommen müssen wir trotzdem schon die Lampen wieder aufbauen. Ich sitze am Boden. Am liebsten würde ich mich nur noch aufs Crashpad fallen lassen und sofort einschlafen, aber das geht nicht. Sechs Boulder sind immer noch nicht gemacht und einer der schwersten fehlt noch. Ich liebe mich für die Fähigkeit in solchen Situationen noch das Maximum rauszuholen. Der erste Zug fühlt sich schwer an, doch dann kommt eine Spannung, die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte. Zwischen keinen Zug passt mehr ein Blatt Papier, aber ich lasse einfach nicht los. Beim Dyno an den Ausstiegsgriff bleiben sogar die Füße stehen, was normalerweise nie ist.
Ich springe ab und wie in Trance ziehe ich die Crashpads weiter. Der wohl härteste Sitdown des Tages steht an. Der erste versuch scheitert direkt am zweiten Zug. Aber immerhin, erst am zweiten. Eigentlich dachte ich, ich krieg den Arsch gar nicht vom Boden. Im zweiten klappt es. Zwar nicht so ganz entspannt und mit leichtem Fuß-Dab, aber gut, was will man erwarten in meinem Zustand. Noch zwei kurze Sprungboulder und schon sitzen wir wieder im Auto. Noch zwei.
Das Zementwerk ist schon bei Tageslicht ziemlich düster und es waren wahrlich nicht die Meister der Sika-Kunst anwesend, als die Griffe geklebt wurden, aber dafür sind die Züge im ‚Idefix’ eine wahre Freude. Und er ist etwas höher, was immer ein kleiner Bonus ist. Ich steige ein. Boh, bin ich platt. Der erste Sprung ist schon sehr knapp. Grad noch mal gut gegangen. Beim zweiten denke ich nicht mehr nach, springe einfach los in die Dunkelheit. Da muss doch der Griff sein. Die Füße schwingen raus, schwingen zurück. Schnell die zweite Hand dazu. Geschafft! Noch einer.
Jetzt kommt das Heimspiel am perfektesten Fels, den wir hier haben. Harter, roter Sandstein, leicht durchsetzt mit Kieseln. Der Boulder zieht sich schräg den Block hoch und steigt dann über eine alte 8er-Route aus. Das erste Mal am Tag binde ich mir das Chalkbag um. Die ersten Züge verursachen Schmerzen an der Haut, die man niemandem wünscht, aber jetzt ist es gleich geschafft. Der weite Schnapper klappt sofort, der Kreuzer auch. Ich springe an die Kante und steige beschwingt über die Route aus. Es ist geschafft. Ein langer Schrei halt durch die sonst stille Nacht.
24 Stunden Bouldern. Eine einzigartige Erfahrung.

NATÜRLICH haben wir auch gefilmt (die Fotos sind deshalb ohne Blitz damit es das Videobild nicht zerhaut!), hier sind aber schon mal ein paar Bilder (in der erwähnten Reihenfolge, einfach durchblättern!). Bald gibts mehr!

Und hier ist die Liste und die Reihenfolge von Simon’s Problemen:

Glees:
Ibo Powers, ES, Extasy, Eisheiligen, Kreuzritter

Röhndorf:
Direct X, Fusion

Katzensteine:
Propellerhead, Zazie, Grüne Wand

Kacushöhle:
Tim is teaching you, Kombination, Space Dildo, Adrenalin Junky, Desperado, (Potential erkennbar)

Eifel:
Dyno, Mattafix, LR-Dach, Lost in space, Warm-up, Sick of it sd, In der Mitte, Idefix, Memories of the beginning 

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