Udo Neumann
Udo Neumann
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Bis jetzt herrscht unter Kletterern eine erstaunliche Unklarheit begleitet von heftigen Spekulationen bezüglich solcher Fragen. Es gibt einfach nicht genügend Wissen, als das der interessierte Zaungast sein Klettern mit dem Klettern am Rande des Menschenmöglichen vergleichen kann. Diese Situation weder für die Felsartisten, noch für Normalkletterer befriedigend.
Die Felsartisten, die sich am Rande des Menschenmöglichen abmühen wollen dem Klettern professionell nachgehen und brauchen deshalb das Interesse der Normalkletterer. Kleiner Einschub mit erhobenem Zeigefinger in Richtung Felsartisten mit professionellem Anspruch: Wenn ihr Euer Tun nicht auf die eine (vielleicht drüber schreiben?) oder andere (Fotos, Videos, Internetpräsenz….) Weise kommunizieren könnt wird’s nix mit dem Profikletterer!
Der Normalkletterer schließlich würde sehr gerne von den Superhelden etwas lernen, was zur Entwicklung seines eigenen Könnens beiträgt.
Zurück zu den oben gestellten Fragen: Auch 2001 ist kein Kletterer vom Himmel gefallen, der uns alle diese Fragen erklären könnte und alles klettern kann, es sind aber einige interessante Sachen in der kleinen Welt des Kletterns passiert, die etwas Licht in die Angelegenheit bringen.

Erster Akt: Die mythischen Klettergebiete kochen auch nur mit Wasser.

Bleau! Andächtige Stille. Der heilige Schrein des Boulderns. Mehr andächtige Stille. Wer hier bestehen will muß mit drei Monaten unter Anwendung einer seit Jahrtausenden von Bleausard- Kletterfamilien ausgetüftelten Klettertrainingsgeheimrezeptur hier mit dem klettern angefangen haben. Menschen ohne Nachnamen die mit “Le” beginnen haben es sowieso extrem schwer hier, oft verzweifeln sie und schlagen Griffe (ab). Diese Einschätzung hielt sich in Bouldererkreisen bis ca. Herbst 1998, als Klem LeLoskot zum ersten Mal den heiligen Schrein besuchte. Er kam als Pilgerer und ging als Grabräuber der den Bleausards so ziemlich alles auf das sie stolz waren entriß. Surplomb im zweiten, Karma und und und und….
Die Locals einigten sich darauf, das es sich wohl um einen Fall von Geburtstransfomation und – teleportation handeln müßte, ein Fall also, bei dem ein Bleausard nicht in Bleau, sondern in Puch bei Salzburg geboren war. Im Falle des Hypertechnikers Klem eine naheliegende Annahme. Es sollte schlimmer kommen, diesmal in Gestalt eines spinzigen Hemdes, bei dem der Götterfunken beim Klettern nun wirklich nicht offensichtlich ist: Dave “Wille=Weg” Graham. Offensichtlich hat es Dave in Bleau, wie auch später im Frankenjura (aber da kommen wir gleich drauf), nicht so gut gefallen, denn zum klettern braucht er in beide Gebiete die nächsten 200 Jahre nicht mehr hin, es sei denn er nimmt das mit den Erstbehungen auch noch in die Hand. Spätestens seit diesem Jahr wissen wir nun, daß Bleau zwar mit seinen lästigen Fünfplus Problemen das Potential hat, jeden amtierenden deutschen Plastikklettermeister zu erniedrigen, im Highend Bereich aber den gleichen Gesetzen unterliegt wie jedes andere Gebiet auch. Selbiges gilt, und das ist ein ganz harter Schlag für die Locals, auch für das vermeintlich weltweit einzige Klettergebiet mit einer ehrlichen Bewertung und ehrlichen Kletterern, dem Frankenjura. Phasenweise ging man hier szenenintern davon aus, das Schwierigkeitsgrade in andern Gebieten mit dem Faktor 0,83 auf fränkisch umgerechnet werden müssten. Ausgerechnet das Land, bei dem man eigentlich meinte sogar den Faktor 0,74 anwenden zu müssen, schickte nun einen seiner stärkeren Söhne um den Franken ihr behütetes, aber nie von einem Franken beklettertes Juwel zu entreißen. Immerhin mußte Iker Pou nochmal wiederkommen, trainierte speziell und unterwarf sich der ganzen Mühsal, die man für die Begehung der möglicherweise schwierigsten Route der Welt nun wirklich in Kauf nehmen muß. “Anders geht’s eben nicht!” sagt der Franke und legt sich beruhigt am Abend des zweiten Jahrtausends schlafen. Als er am Morgen des dritten Jahrtausends aufwacht, sieht die Sache jedoch anders aus. Der dünne Ami hat sich tatsächlich die Mühe gemacht in die Fränkische zu kommen. Er findet das Bier klasse, klettert ALLES und reist zügig weiter zu anderen Kletterzielen. Der Franke und mit ihm alle interessierten Zuschauer reiben sich die Augen und kratzen sich am Kopf. Ja, die ACTION scheint wirklich glatt XI zu sein, womöglich tatsächlich noch die schwierigste Route der Welt, jedenfalls deutlich schwieriger als neuere Kreationen wie ELFE, welche dem Ansturm der beiden erwähnten Frankenschrecks nun wirklich nichts entgegenzusetzen hatte, aber eben nur eine Route, eine Station auf dem Weg eines jungen, talentierten Kletterers des dritten Jahrtausends. Um das bisher geschriebene etwas zu relativieren und von einer anderen Seite zu beleuchten, machen wir jetzt Mal einen kurzen Sprung über den Atlantik.

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Zweiter Akt: Eine interessante Reise

Zwei der besten Kletterer der letzten zehn Jahre, Yuji Hirayama und Francois Legrand bereisen für sieben Wochen die USA, um sich erstens auf die Worldcup Saison vorzubereiten und zweitens den Amis ihre Überlegenheit zu demonstrieren, wie sie es schon so oft gemacht haben. Lest hier was mein Freund, der Kameraman Mike “MC” Call, über diesen Trip schreibt:
“The trip with F and Y was an epic beyond all, imagine: these guys want to impress the world with a trip of them attemping challenges that would take most people a season to do alone, and they want to do all in seven weeks… and they mostly fail (notable exception- Kryptonite) Plus they get World Cup Season ending injuries at the end of the trip. Yep, Yuji got his fingercaught in the rope while bouncing up, twisting it and ending his season for a while.”

Wenn MC schreibt, “they mostly fail”, dann bezieht er sich darauf, daß beide zum Beispiel JUST DO IT, 1992 Von Jibé Tribout erstbegangen und seitdem mit ausreichend Begehungen ausgestattet, nicht klettern konnten und eine andere amerikanische Referenzroute, Chris Sharmas Nessessary EVIL aus Angst um ihre Finger kaum versuchten. Beides sind richtige klassische Felsrouten, weitestgehend ohne manipulierte Griffe, über 40m lang zwar, aber viel weniger steil als Plastikrouten oder geschlagene Touren. Beide fanden JUST DO IT demzufolge auch (zu?) “technisch”. Da jedoch ihr Kletterkönnen auch in diesem Gelände eigentlich über jeden Zweifel erhaben ist, gibt es verschiedene mögliche Schlußfolgerungen, die man aus ihrer Reise ziehen kann.

Besonders interessant ist Y &  F’s Reise aber durch den Umstand, daß  Yuji KRYPTONITE, 2000 von Tommi Caldwell erstbegangen und mit 9a bewertet, wiederholen kann. Tommi, momentan wohl der vielseitigste amerikanische Kletterer, folgerte KRYPTONITE müsse 9a sein, nachdem er JUST DO IT und NECESSARY EVIL sehr schnell wiederholen konnte. Yuji schätzt die Route jedoch deutlich leichter ein. Dazu muß man wissen, daß KRYPTONITE an einem der seltenen Felsen, welche ohne Griffmanipulationen Wettbewerbsähnliche Routen erlaubt, beheimatet ist. Die Route liegt Yuji sehr, da sie, obwohl natürlich, sehr steil und homogen, also “französisch” ist.  Hier streifen wir einen interessanten Aspekt, den ich im folgenden nachgehen möchte:

Dritter Akt: Künstliche Griffe sind so dermaßen Megaout!

An alle Kletterer, welche die letzten zehn Jahre unter einem vermosten Stein zugebracht haben: Wer Griffe schlägt ist doof! Schlimmer noch, sie oder er bleibt doof, jedenfalls was das Klettern anbelangt, denn ein guter Kletterer ist noch aus keinem Tourentuner geworden. Aus der Traum vom Kletterstar! Die ganzen manifikturierten Trainingstouren am Fels haben nichts, nix, null, niente fürs Klettern gebracht. Kein Kletterer ist an ihnen gewachsen. Kein Horizont ist durch sie erweitert worden. Keiner der momentan starken Felsletterer hat seine geistige Heimat in der Griffmanipulation, sondern alle suchen in der Klettererei die Auseinandersetzung mit der Natur mit relativ wenigen, dafür aber strengen und einfachen Regeln (natürliche Haltepunkte, das Seil nur als Sicherung etc. etc.) Dave Graham betont in einem Interview im Rock&Ice sogar wie grotesk überbewertet manipulierte Routen sind, ein verständlicher Vorwurf, wenn man weiß, wer wie und aus welchem Grund überhaupt Routen zimmert. Ich möchte auf diesem Thema nicht mehr weiter rumreiten, nur noch so viel:
Felskletterei findet am Fels, so wie die Natur ihn sich ausgedacht hat statt. Der Gag ist, das man sich damit auseinandersetzt und so zum guten Kletterer reift.
Wer für Wettbewerbe trainiert, sollte das an dem Medium tun, an dem Wettbewerbe stattfinden, nämlich Plastik.
Kunstrouten haben keinen Schwierigkeitsgrad. Das haben Klem und ich so lapidar im XI. Grad geschrieben und je mehr ich mich mit der Thematik beschäftige um so sicherer bin ich mir in diesem Punkt. Kunstrouten sind etwa so einzuschätzen wie Plastikboulder im Keller. Sie können sehr viel Spaß machen und ich finde sie an einem ansonsten wegen Bruchs unbekletterbaren Felsen auch nicht moralisch verwerflich, aber der Ausgangspunkt ist ein ganz anderer als beim “richtigen Freiklettern”.

Vierter Akt und Auflösung: Warum 2001 so ein aufregendes Jahr ist…

Klettern ist, verglichen mit Basket- oder Fußball, Surfen, Turnen oder Skateboarden, vom Standart in anderen Bereichen, etwa dem Musizieren mal ganz abgesehen, eine Aktivität auf niedrigerem Niveau. Das Niveau einer Aktivität ergibt sich aus

  1. wie lange machen das Menschen schon? Und
  2. wie viele Menschen betreiben diese Aktivität? Und schließlich
  3. wie viele Resourcen können die Aktivisten in diesem Bereich nutzen? Ressourcen können geldmäßig (Firma XY bezahlt soundso dafür, daß sie nur noch klettern geht) oder ideell (wieviel wissen Kletterer und Multiplikatoren über das Klettern?) sein.

Vergleichen wir das Klettern nun beispielsweise mit dem Skateboarden, so ergibt sich Gleichstand bei Punkt 1, beide Aktivitäten werden sportlich seit den siebziger Jahren ausgeübt. Was Punkt 2 anbelangt wird Weltweit mehr geskatet als geklettert. Durch den größeren Markt ergibt sich auch die wesentlich größere Industrie und damit monetäre Ressourcen für Aktivisten auf der Seite des Skatens. Es gibt viel mehr Skater als Kletterer, die von ihrer Aktivität leben können, da der Markt für Skaterprodukte größer ist. Klettern wird nie so wie Skaten werden, was den geldmäßigen Aspekt von Punkt 3 anbelangt. 2001 ist aber deshalb so interessant, weil zum ersten Mal eine gewisse Breite an der Spitze entsteht und die guten Kletterer wieder mehr miteinander reden und Gedanken austauschen. Es geht also voran mit den wissensmäßigen Ressourcen und das ist eine gute Sache. Viele der alten Mythen und Legenden werden jetzt entzaubert, der ein- oder andere Hochstapler sieht sich mit einer qualifizierten Öffentlichkeit konfrontiert. Es sind eben nicht nur Fred, Chris und Klem (wobei es extrem beeindruckend ist, was Fred in den letzten Jahren alles geklettert hat) die Felsklettern können, sondern ziemlich viele mehr. Gerade hatte man sich beispielsweise damit abgefunden, daß es einen neuen amerikanischen Superstar gibt, da kommt dessen Freund aus Maine angeflogen und knipst ELFE genauso locker ab. Es müssen aber nicht immer Amis sein, DREAMTIME, der möglicherweise schwierigste Boulder der Welt, den auch Dave Graham ausgiebig versucht hatte, wird schließlich vom noch nicht übermäßig bekannten Österreicher Bernd Zangerl wiederholt. Revolution der jungen Kletterer also, aber auch die Erkenntnis, daß die guten Kletterer vergangener Epochen auch ihre Qualitäten hatten. Das kann nur gut fürs Klettern sein: Junge, talentierte Kletterer, die die sieben Weltmeere bereisen, klettern, was sich ihnen in den Weg stellt und ihre Jagdbeute mit anderen Kletterern teilen. Hoffentlich geht’s so weiter, hoffentlich wird 2001 “das Jahr, in dem wir anfingen etwas klarer zu sehen.” Es sieht ganz so aus und deshalb find ich das Kletterjahr 2001 bis jetzt so gut!

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